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Möch gönnt sich einen Schluck

Historische Küche: Welche Lebensmittell sind wirklich „regional“? [Update]

Regionale Ernährung liegt im Trend, was aus vielen Gründen zu begrüßen ist. Die Mikrohistorikerin fragt sich natürlich, was regional eigentlich historisch bedeutet. Welche Lebensmittel sind überhaupt regional? Welche essbaren Pflanzen sind wann in Mitteleuropa kultiviert worden?

Kaum etwas prägt das eigene Wohlbefinden so sehr, wie das „Essen bei Muttern“, kaum etwas bedeutet so viel Identifikation mit „unserer“ Kultur als das, was wir essen und trinken. Darüber darf mensch aber nicht vergessen, dass auch kulinarische Traditionen, wie alles, gewachsen sind und sich stetig wandeln. Kartoffeln und Tomaten aus Südamerika, „orientalische“ Gewürze, längst ist die traditionelle europäische Küche international. Lebensmittelpflanzen, die in Europa kultivierbar sind, werden nicht mehr als „Einwanderer“ begriffen, gerade deshalb ist ein Blick in die Vergangenheit spannend, als der Speiseplan noch ganz anders aussah.

Neolithische Revolution

So nennt man den Schritt der sogenannten „Sesshaftwerdung“ unserer Vorfahren, benannt nach der Jungsteinzeit (auf schlau: Neollithikum). Genau lässt sich diese „Revolution“ nicht beziffern, sie fand irgendwann vor 14.000 bis 20.000 Jahren und unabhängig an mehreren Orten auf der Welt statt (z.B. Mexiko, Levante…). Die Menschen wanderten also nicht mehr als Jägerinnen und Sammler umher, sondern bauten Getreide sowie andere Früchte selbst an und betrieben Tierzucht. Die Ernährung wurde eiweißärmer und stärkehaltiger, eigentlich ein Nachteil. Die Menschen waren nach der Neolithischen Revolution nachweislich kleiner (Wiek, S. 10f.) und mussten mehr Zeit in ihre Ernährung investieren.

Brot und Spiele – Die Antike

Wie stolz ist man hierzulande auf die „Deutsche Brotkultur“ und in der Tat: Getreide ist das Grundnahrungsmittel in Europa, aber auch in den frühen Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens. Alte Getreidesorten sind zum Beispiel:

  • Dinkel (Urweizen) oder
  • Emmer

Untrennbar verbunden mit dem Brot ist Bier, das ebenfalls seit Jahrtausenden konsumiert wird. Fast genauso traditionsreich aber nicht überall kultivierbar ist Wein, der sich ebenfalls bis in die Antike zurückverfolgen lässt. Er findet sich, wie das Olivenöl, ebenfalls seit der Antike im Mittelmeerraum und wanderte mit den antiken Römern über die Alpen zu „uns“.

Mittelalterliche Bäckerei auf einem Kalenderblatt. Gemeinfrei aus den Sammlungen der Königlichen Bibliothek der Niederlande https://www.kb.nl/ Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bakermiddleages.jpg
Mittelalterliche Bäckerei auf einem Kalenderblatt. Gemeinfrei aus den Sammlungen der Königlichen Bibliothek der Niederlande https://www.kb.nl/ Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bakermiddleages.jpg

Die mittelalterliche Küche

Mittelalterliche Restaurants sind bei jedem Besuch ein kleines Event und die mittelalterliche Küche ist recht gut erforscht.

Ein mittelalterlicher Haushalt definierte sich über den Herd. Der Herd stand für die Hausgemeinschaft, das Familienoberhaupt. Wer einen eigenen Herd unterhielt, der hatte es in der mittelalterlichen Gesellschaft zu Eigenständigkeit gebracht.

Doris Fischer hat eine lange mittelalterliche Lebensmittelliste in ihrem Buch „Kochen wie im Mittelalter“ und auf ihrer Website https://www.ausgraeberei.de veröffentlicht. Sie können dort nachgeschlagen werden.

Fisch und Fleisch

  • Süßwasserfisch (keine Regenbogenforelle aus Amerika)
  • Salzwasserfisch stellte in Schwaben wohl die absolute Ausnahme dar, falls er überhaupt verspeist wurde.
  • Fleisch: Wild (wer jagen durfte) oder domestizierte Tiere (also keine – noch nicht domestizierten – Hausenten und keine amerikanische Pute).

Fleisch war überhaupt eines der bedeutendsten Lebensmittel im Mittelalter. Während der mittelalterliche Adel sein Fleisch vorrangig aus der Jagd bezog, waren Städter:innen von Schlachtvieh abhängig. Das Schwein war ein wichtiger und günstiger Fleischlieferant, wurde aber zunehmend bei Hof als vulgär zurückgewiesen, zumindest viele Teile des Tieres. Höchstens der Speck oder das Schmalz wurden gerne in höfischen Küchen verwendet.

Die Liste an Gemüse hält die meisten Überraschungen bereit

  • Der Flaschenkürbis wurde im mittelalterlichen Europa verzehrt, während alle anderen Kürbissorten (Cucurbita) und Zucchini erst in der Neuzeit aus der „Neuen Welt“ kamen
  • Spargel gab es nur grün, Schwarzwurzel noch gar nicht
  • Hanf war ein vielfältiges Nahrungsmittel
  • Lupinen
  • Pferdeeppich (Doldenblüter, alle Pflanzenteile sind essbar, die Samen auch als Gewürz) nutzt heute in Mitteleuropa niemand mehr
  • Zwiebeln und (der etwas „vulgäre“) Knoblauch, Bärlauch wurde verschmäht
  • Reis war nur eine seltene Delikatesse
  • Die einzige Salatsorte war der Feldsalat
  • Oliven wurden nur als Öl importiert
  • Blumenkohl und Brokkoli waren noch nicht aus Griechenland eingewandert. Rosenkohl war noch gar nicht erfunden! Rot- und Weißkohl waren dagegen verbreitet.
  • keine Gartenbohnen, keine Kartoffeln, kein Mais, keine Tomaten, Paprika aus Amerika
  • Spinat verdrängte erst im 15. Jahrhundert den Amaranth
  • Keine Auberginen, Artischocken, Kohlrabi, Radieschen, Sellerie, Spinat, Soja, Wirsing, Zichorien oder Zuckerrüben. Sie standen erst im Lauf der Neuzeit auf den Speisezetteln. Teils wanderten sie aus dem Mittelmeerraum teils aus Asien ein oder sie wurden erst ganz neu gezüchtet.

Obst, Nüsse und (Baum-)Samen, Pilze

wurde gesammelt oder angebaut, aber…

  • keine Zitrusfrüchte
  • keine Johannisbeeren
  • keine Erdnüsse (aus Amerika)
  • keine Melonen (aus Afrika)
  • keine Mandeln

Getränke

  • Bier (galt als sicherer als potenziell unsauberes Wasser, wurde aber gern gepanscht, genau wie Wein)
  • Met
  • Wein, Würzwein (kalt oder heiß) und Obstwein
  • verdünnter Essig
  • Birkenwasser
  • Kräutertees
  • Verjus (Saft aus unreifen Trauben)
  • Kein Schwarztee und kein Kaffee
Ein Mönch gönnt sich einen Schluck. Buchmalerei aus dem späten 13. Jahrhundert. Gemeinfrei. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Monk_sneaking_a_drink.jpg
Ein Mönch gönnt sich einen Schluck. Buchmalerei aus dem späten 13. Jahrhundert. Gemeinfrei. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Monk_sneaking_a_drink.jpg

Kräuter und Gewürze

  • Kräuter, die wir heute noch wild finden (Hier sei noch einmal auf Doris Fischers lange Liste verwiesen)
  • Zucker war erst nach den Kreuzzügen bekannt, Zuckerrüben wurden erst im 18. Jahrhundert angebaut
  • Honig
Bienenkörbe. Gemeinfrei. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:27-alimenti,_miele,_Taccuino_Sanitatis,_Casanatense_4182..jpg
Bienenkörbe. Gemeinfrei. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:27-alimenti,_miele,_Taccuino_Sanitatis,_Casanatense_4182..jpg

Suppen und Getreidebreie, gebratenes Fleisch und was sonst noch mit Löffel oder Fingern gut essbar war, stand hoch im Kurs, denn Gabeln hatten sich in Mitteleuropa während des Mittelalters noch nicht durchgesetzt.

Kaschrut

Ebenfalls zur europäischen Kultur zählt die jüdische Bevölkerung, die sich mit ihren Speisevorschriften auf die Tora bezieht, also direkt auf die Antike. Verbotene Tiere (z.B. Schweine oder Meeresfrüchte) blieben verboten. Neue Lebensmittel wurden und werden nach den Kaschrut (Speisegesetzen) bewertet und kosher (rein), trefe (unrein) oder parve (neutral) zugeordnet. Sehr streng ist dabei die Qualitätskontrolle von Fleisch, das nur von makellosen Tieren stammen darf, die nach strengen Regeln geschächtet und zubereitet werden. Mahlzeiten, die Fleisch enthalten, dürfen nicht mit Milchprodukten gemischt oder gegessen werden. Diese Regeln haben sich seit biblischen Zeiten nicht verändert, die regionalen Rezepte jedoch sehr wohl.


Quellen und weiterführende Literatur:

  • Chartier, Roger; Ariès, Philippe (Hg.) (1999): Geschichte des privaten Lebens. Von der Renaissance zur Aufklärung. Unter Mitarbeit von Philippe Ariès und Georges Duby. 5 Bände. Augsburg: Bechtermünz (Geschichte des privaten Lebens / Philippe Ariès Georges Duby (Hrsg.), 3).
  • Georges Duby (Hg.) (1999): Geschichte des privaten Lebens. Vom Feudalzeitalter zur Renaissance. Unter Mitarbeit von Philippe Ariès und Georges Duby. 5 Bände. Augsburg: Bechtermünz (Geschichte des privaten Lebens / Philippe Ariès Georges Duby (Hrsg.), 2).
  • Wieke, Thomas (2014): Der Mensch isst nicht gern allein. Eine kleine Kulturgeschichte. Darmstadt: Lambert Schneider Verlag. (E-Book)

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hanne

    Dass die Mahlzeiten im Mittelalter anders aussahen als unsere heutigen, war mir schon klar, aber dass es noch nicht mal Kohlrabi, Sellerie und Spinat gab, hat mich dann doch sehr beeindruckt.
    Und warum das Deutsche Reinheitsgebot für Bierbrauer erlassen wurde, ist jetzt auch klar.
    Danke für diese interessanten Informationen.

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